Aktuelles
„Zwischen uns träumen Worte“. Lyrik- und Prosalesung von Jana Fuchs, Lisa Goldschmidt und Julia Grinberg + (Folk-)Songs von Jonas Noack
krumm & schepp Mainz
Donnerstag, den 24. April 2025, 19:30 Uhr
In ihrem Gedichtband Ursprünge entwirft die Lyrikerin Lisa Goldschmidt eine Archäologie des Beginnens, der Anfänge und der Gründungsmythen. Dabei gehen die existenziellen „Ursprünge“ in Form einer „zweiten Geburt“ fließend über in die der Sprache und des Sprechens als einer unabdingbaren Symbolisierung des menschlichen Seins. Julia Grinbergs Journal einer Unzugehörigkeit handelt hingegen von Liebeserwartungen und Liebesenttäuschungen, von Effizienz und Gerechtigkeit, ebenso wie von Zumutungen und Zuversichten des Alltags. Auf kleinstem Raum suchen ihre Miniaturen und Kurzgeschichten Halt in einer haltlosen Welt. Der Roman Auf der Nachtseite des Lebens von Jana Fuchs erzählt von zwei Schwestern, die regelrecht symbiotisch miteinander verwoben sind. Fast denselben Atem haben. Und dennoch (oder gerade deshalb?) ist es eine sehr ambige Beziehung, die Scham und Schuldgefühle erzeugt. Inwiefern ist Emanzipation möglich, wenn ein Geschwisterteil an einer chronischen Krankheit leidet?
Lesung im Rahmen der Lesebühne der Darmstädter Textwerkstatt
Moderation: Kurt Drawert und Michael Hüttenberger
5. Februar 2025, 19:30 Uhr, Literaturhaus Darmstadt
Content? Context! Generative KI und kreative Autorschaft in Wissensarbeit und Literatur
Symposium, Centralstation Darmstadt, ausgerichtet vom Zentrum für verantwortungsbewusste Digitalisierung, Lesung des Essays Daten und Poesie? im Rahmen der Podiumsdiskussion zu "Sprache & Sein"
Daten.Über.Schreiben. Poesie im digitalen Zeitalter.
Lesung gemeinsam mit Kanella Baleka, Diana Hellwig, Julia Simon und Miriam Tag im Rahmen der Lesebühne Darmstadt, Literaturhaus Darmstadt, Mittwoch, den 4. Dezember 2024, 19:30 Uhr
Lesung aus Romanprojekt Auf der Nachtseite des Lebens im Rahmen von "Die Narbe auf dem Rücken der Stille". Lesung mit Autor:innen der Darmstädter Textwerkstatt: Lisa Goldschmidt, Julia Grinberg und Christoph Wirges
30. November 2023, Cardabela Buchladen Mainz, 20 Uhr
Wie Dichter und Kulturschaffende einen hohen Preis für das freie Wort in Zentral- und Lateinamerika zahlen
Drei aktuelle Fälle von José Rubén Zamora (Guatemala), Dina Meza (Honduras) & Juan Martínez d´Aubuisson (El Salvador)
Gespräch am 21. Oktober 2023 am Stand des PEN-Zentrums auf der Frankfurter Buchmesse [aufgrund von Krankheit abgesagt]
Moderation: Najem Wali
Lesung im Literaturhaus Wiesbaden
im Rahmen der Veranstaltungsreihe Textkontor
29. März 2023, 19:30 Uhr
Moderation: Sarah Beicht
Lesung der Gedichte von Günter Eich,
Literaturhaus Darmstadt
1. März 2023, 19:30 Uhr
Im Rahmen der Veranstaltung "Was ich weiß, geht mich nichts an". Eine Hommage an Günter Eich und den Lyrikkritiker Michael Braun.
Widerstand der Dichter von Manlio Argueta
Romanübersetzung aus dem salvadorianischen Spanisch
15. Oktober 2022, Septime Verlag
Auszug aus Romanprojekt "Auf der Nachtseite des Lebens"
"Ich habe bisher noch niemandem verraten, auch Matteo nicht, dass ich, solange ich denken kann, mit dem Schicksal meiner Schwester spiele. Und es ist mir immer noch nicht gelungen, vollends damit aufzuhören, auch wenn ich mein Schicksalsspiel nun deutlich seltener spiele. Es geht so: Wenn ich einen Gehweg entlanglaufe, darf ich nicht einfach einen Fuß vor den anderen setzen, sondern ich erlaube mir nur, auf die Pflastersteine selbst zu treten. Wenn ich nicht achtgebe und mein Fuß doch eine Ritze zwischen den Steinen berührt, dann, so die Regel, bin ich mit schuld, wenn es meiner Schwester wieder schlechter geht. Wenn ich damals, wir waren noch klein, auf dem Schulweg bis zum Schultor keine einzige Spalte zwischen den Steinen berührte, würde sie alt werden, sehr alt. So alt wie wir anderen Menschen.
Wenn ich zur Haustür hineingehe und die Tür hinter mir ins Schloss fällt, bevor ich den ersten Treppenabsatz erreiche, wird sie nicht mehr lange leben. Wenn ich aber im zweiten Stockwerk angelange, bevor sich die Tür schließt, werden wir gleichalt werden. Wenn ich an einem roten Auto vorbeikomme, muss ich von dem Augenblick an, in dem ich es sehe, bis ich an ihm vorbeigelaufen bin, die Luft anhalten. Schaffe ich es nicht, darf ich am kommenden Morgen keinen Kaffee trinken, auch wenn ich noch so große Lust darauf habe und sich meine Kopfschmerzen langsam in ein schmerzliches Stechen verwandeln.
Wenn ich an einer Häuserwand aus Backstein vorbeigehe, muss ich zählen, wie viele Steine nebeneinander verlegt wurden, während ich mit dem Zeigefinger über die Wand streiche. Und wenn ich mich verzähle, ist es meine Schuld, wenn sie Fieber bekommt. Und immer, wenn sie im Krankenhaus ist und in einem fremden Bett mit einem Infusionsständer neben sich schlafen muss, liegt es an mir, weil es mir wieder nicht gelungen war, durch das Essen von Bananen, die ich verabscheue, das Fieber von ihr fernzuhalten.
Einige Spiele haben sich im Laufe der Zeit verändert. Auch sind neue hinzugekommen und andere weggefallen, aber das mit den Pflastersteinen ist gleichgeblieben. Neu ist, dass ich immer noch ein bisschen weiterarbeiten muss, auch wenn ich schon so müde und erschöpft bin, dass mir schwindelig ist. Denn wenn ich zu früh aufgebe, mich nicht genügend anstrenge, bin ich schuld daran, wenn sie mich anruft und mir sagt, dass sie wieder schlechter Luft bekommt.
Auch darf ich nur selten Filme schauen oder ein Buch lesen, nur, weil ich Lust dazu habe. Wenn, dann muss es etwas Anspruchsvolles sein. Eine Dokumentation über das Schaffen Modiglianis etwa, oder ein Beitrag von arte-Philosophie. Ich sitze dann mit aufgeschlagenem Notizbuch und einem Stift im Schneidersitz auf dem Bett und unterbreche die Sendung immer wieder kurz, um mir etwas zu notieren.
Mit der Rechtfertigung war es schon schwieriger, wenn ich einen Spielfilm schauen wollte. Dann musste es schon von einem wichtigen Regisseur oder ein Kult-Film sein. Kam es doch einmal vor, dass ich nur zum Genuss ein Buch las oder einen Film anschaute, überkam mich schnell ein dunkles Gefühl der Schuld. Denn wie anmaßend konnte ich auch sein? Nichts dafür zu tun, um die Ungleichheit zwischen uns Schwestern auszugleichen! Meist musste ich dann an den nächsten Tagen durch noch strengere Regeln, die ich mir auferlegte, umso mehr beweisen, dass ich, gesund wie ich war, auf der Welt sein durfte.
Auch das mit dem Glück und der Unbeschwertheit war nicht so einfach für mich. Denn immer, wenn ich mich leicht und frei fühlte, musste ich diese Gefühle hinunterdrücken, um Fortuna nicht von ihrer Seite zu verscheuchen.
So oft schon haben mich die Schicksalsgöttinnen wegen meines Schicksalsspiels ausgelacht! Die junge und die zwei alten Frauen, die uns unsere Mutter in einem ihrer dicken Bildbände gezeigt hatte. Minou gefiel besonders die halbnackte Frau mit der Spindel und den spitzen kleinen Brüsten, während mich die mit dem rotumschlungenen Tuch und den Blumen im Schoß faszinierte. Wenn ich abends in meinem Bett lag, kamen sie oft (zu oft!) zu mir, um von der Decke auf mich herabzuschauen und mich zu verhöhnen. Mit ihrem gefährlich nah über meinem Kopf schwingenden Pendel zeigten sie mir, dass sie es waren, die den Lauf der Dinge beeinflussten. Nicht ich, ein kleines schüchternes Mädchen, das ich war und immer noch bin."
Auszug aus Romanprojekt "alles, was möglich ist"
"An einem Tag im Januar – mein erster Januar, in dem ich hier lebe – ging ich die engen Wege in Richtung Altem Zementwerk entlang. Es war ungewöhnlich warm im Vergleich zu den vorherigen Wochen und Monaten, und auch die Sonne zeigte sich nach einer langen Zeit, in der sie kaum mehr als eine Ahnung gewesen war. Dort, wo es zuletzt grau gewesen war, war es nun hell und etwas offenbarte sich, das zuvor durch die Dunkelheit verschüttet geblieben war.
Ich kam an dem großen Stein vorbei, an dem ich einige Tage zuvor ein größeres Exemplar einer Nosferatu ausgesetzt hatte. Dabei zugesehen hatte, wie sie über den Schnee – an den erstarrten Rosen vorbei, weiß und von Reif bedeckt – davongehuscht war.
Es war ein diesiger Tag gewesen. Mit Nebel, der sich im Laufe des Tages gelichtet hatte und dem Sonnenlicht gewichen war. Eine Helligkeit, die sich schon am Morgen durch das Laubwerk gebrochen und den mit Efeu überwucherten Zaun vor dem leerstehenden Grundstück nebenan und das sich immer mehr ausbreitende Brombeergestrüpp getroffen hatte.
Ich überquerte die Straße und dann sah ich ihn. Den Baumgürtel, der das Gelände rund um den Alten Steinbruch umgab.
Die Sträucher und Bäume waren kahl; einige der Äste und Zweige waren abgebrochen und manche Bäume hingen schief. Wurden durch die danebenstehenden in der Schwebe gehalten, bevor auch ihre Kraft irgendwann nachlassen und sie der Schwerkraft anheimfallen würden.
Am vorherigen Tag hatte es stark geregnet und so musste ich meine Schritte vorsichtig auf das Gras und die dunkle Erde setzen. Auf halber Höhe des Weges, der mich zum Eingang in das Naturschutzgebiet führte, dann das intensive Rot von Hagebuttenfrüchten.
Ich ging näher. Drückte eine der Früchte leicht zwischen meinen Fingerspitzen, um die Reife zu fühlen. Sie war hart – ob vom Frost, oder weil sie noch nie weich gewesen war, wusste ich nicht.
Eine andere Frucht war reif. Ich zog sie vom dünnen Zweig und presste mit meinen Lippen das Fruchtfleisch heraus. Schmeckte die saure Süße.
Direkt daneben ein mit hellgrünem Moos bedeckter Kirschbaum, dessen Zweige sich bis knapp über die Erde hinunterbeugten. Davor ausgedorrte Schilfhalme, die sich im Takt des Windes bewegten.
Ich hörte ein Geräusch, hob meinen Blick und sah zwei Tauben, die auf den Zweigen eines einige Meter von mir entfernten Baumes landeten. Als ich mich näherte, stoben sie auf, flogen davon.
Und dann hörte ich sie. Die Kraniche, die verfrüht aus dem Süden zurückkamen.
Ich durchquerte die Baumreihe, die das Gelände umgibt, stieg einen leichten Anstieg empor, links wucherndes Brombeergestrüpp, rechts Kieferngewächse mit Zapfen, gebildet durch Harzkanäle, ging nach rechts und entschied mich, den Weg zu nehmen, der nach unten führte. Immer begleitet von dem Rauschen der Autobahn, das sich in alles einschrieb, was ich sonst noch wahrnahm.
Als ich ein paar Schritte weiterging, sah ich durch die mit Moos bedeckten Zweige, unten im Tal, die Hallen des stillgelegten Zementwerkes, in dem die SS während des Krieges ein Straflager für 100 Häftlinge errichtet hatte. Zwangsarbeiter, die unter schwersten Bedingungen zur Herstellung von Bauteilen für die Marschflugkörper V1 und die Raketen V2 eingesetzt wurden.
Ich kam an einem Schild vorbei, das betitelt war mit »Ein Koloss fällt«. Darunter eine Fotografie des Gebäudes der beiden Wärmetauschertürme, die zum Vorwärmen von Rohmehl diente, das im Drehofen bei bis zu 1.500 Grad zu Zementklinker gebrannt wurde. Rechts daneben Fotografien, die die Sprengung der Türme dokumentieren. Einige der Erläuterungen unter den Fotografien: »Etwa fünf Sekunden nach der Zündung«, »der Schornstein des hinteren Wärmetauschergebäudes kurz vor dem Aufschlag«, »etwa acht Sekunden nach der Auslösung der Sprengung«.
Ich kehrte um, da es zu dämmern begann. Nach wenigen Metern am Wegesrand an einer Rotbuche die ersten jungen Triebe. Ich blieb stehen, nahm einen von ihnen zwischen meine Finger, um die Zartheit und die Struktur zu erspüren.
Gestern bin ich aufgewacht und im Dunkeln zu dem großen Fenster im Wohnzimmer gegangen. Wollte dem Brombeergestrüpp dabei zusehen, wie es die Hauswand emporkletterte und durch die Risse im Gemäuer ins Innere des Hauses vordrang. Bis in meine Küche hinüberkroch und die Spüle, die Siebträgermaschine und meinen Küchenschrank zu überwuchern begann. Bis ich mich erinnerte, dass es ein Traum gewesen war und nichts, was sich wirklich ereignete."
Über mich
Teilnahme am Seminar Literarisches Schreiben und erzählerischer Mut von der Suhrkamp-Autorin Nina Bußmann. Von Februar 2021 bis Februar 2025 Mitglied der Darmstädter Textwerkstatt unter der Leitung von Kurt Drawert, Zentrum für neue Literatur in Darmstadt. Derzeit in den Endzügen des Romans Auf der Nachtseite des Lebens und Arbeit an einem Roman mit dem Arbeitstitel alles, was möglich ist. Dieser erzählt von der Rückkehr der Wildnis, von Geländebegehungen, den Konsequenzen und Auswirkungen eines ungeteilten Kinderwunsches sowie eine Fehlgeburt. Außerdem arbeite ich an einem Projekt auf der Schnittstelle zwischen Essayband und Roman mit dem Arbeitstitel Verlorene Landmarken. Übersetzung des Romans Widerstand der Dichter aus dem salvadorianischen Spanisch, erschienen Herbst 2022 im Septime Verlag. Lektorin und Terminologie-Managerin für die Internationale Hochschule. Zuvor Pressereferentin der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft. Zudem bin ich als Gutachterin für Literaturübersetzungen aus dem Spanischen für Litprom tätig (u. a. Gutachten zu Carlos Franz, Das verschwundene Meer, übersetzt aus dem chilenischen Spanisch von Lutz Kliche, Mitteldeutscher Verlag). Davor Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft / Komparatistik und der Spanischen Philologie (M.A.) mit dem Schwerpunkt Lateinamerikanische Literatur an der JGU Mainz.